POLITISCHE GLEICHHEIT

als komplexes demokratisches Ideal konkretisiert die Bedeutung partieller Gleichheiten für den Bereich des Politischen/der Politik

Das Politische als Bezugspunkt der Gleichheit
- Politische Gleichheit bedeutet Gleichheit hinsichtlich des Politischen oder im Politischen

- Politische Gleichheit ist eine thematische Spezifizierung einer Reihe konkreter Gleichheiten, welche einen Gegenstand (tertium comparationis) betreffen, der entweder selbst politische Bedeutung hat oder dessen ungleiche/gleiche Verteilung bzw. Ergebnisse politische Bedeutung erlangen

- d.h. politische Gleichheit hat selbst keinen konkreten Gegenstand, sondern erlangt Bedeutung durch Wertzuschreibungen, welche sich auf Erkenntnisse und Interpretationen des komplexen (Zusammen-)Wirkens politisch relevanter (Un-)Gleichheiten beziehen
Politische Gleichheit in der demokratischen Beteiligungsforschung
- Im demokratischen Entscheidungsprozess bezieht sich die Wertung politischer Gleichheit auf solche Gleichheiten, welche für die Gleichheit der politischen Subjekte in Hinblick auf die politische Beteiligung am Entscheidungsprozess (und damit genuin politisch da für die Politik) relevant sind
- das Ideal politischer Gleichheit (als komplexes Zusammenwirken relevanter (Un-)Gleichheiten) hat eine zentrale Funktion für die Legitimität demokratischer Politik qua demokratischer Entscheidungsprozesse, weshalb seine konstatierte Verletzung zu Vertrauens- und Anerkennungsverlusten des demokratischen Systems führen kann und Anlass zu Gegenmaßnahmen für "mehr" politische Gleichheit gibt
- bleibt die Frage: auf welche Dimension der Gleichheit bezieht sich die konstatierte Verletzung (Subjektbereich, Verteilungs- und Möglichkeitsbereich oder Bewertungsbereich oder das negative Zusammenspiel)?
Subjekt
Wer ist das Subjekt der relevanten Gleichheiten hinsichtlich politischer Beteiligung und wie wird es bestimmt?

- Personen(-gruppen)
- Stimmen
- Präferenzen
- ...?

Relevanz des Subjekts für Politische Gleichheit der Beteiligung
- wird zwischen Individuen oder Gruppen (von Menschen oder nicht Menschen) verglichen?
- welche Unterscheidungsmerkmale werden als politisch relevant identifiziert?
- klassisch individualistisch ist der liberal-demokratische Ansatz, während sich Beteiligungsstudien dagegen häufig auf ungleiche Gruppen beziehen, dagegen kaum auf Ungleichheit innerhalb unterschiedlicher Gruppen

--> Die Bestimmung von relevanten Subjektgruppen für politisch relevante Gleichheiten ist besonders umstritten:
- die Subjektgruppe selbst kann politische Relevanz besitzen (z.B. Minderheiten, Ausländer, Jung, Arm etc.), aber auch unabhängig von der spezifischen politischen Relevanz einer Gruppe kann die konstatierte Ungleichheit zwischen Gruppen (die sich ansonsten recht(lich und sozioökonomisch) gleich sind) eine besondere politische Relevanz besitzen (z.B. ungleiche Beteiligung von Mann/Frau, Stadt/Land, Ost/West etc.)
- Ist die Bestimmung implizit/explizit, fix/offen, exklusiv/inklusiv?
- Solange es keine einzige universelle Subjektgruppe gibt (die explizit, offen und inklusiv ist), wird die Ausweitung der Subjektgruppe gefordert werden und nur die relative Gleichheit(sverbesserung) in der Subjektdimension kann bewertet werden.
Verteilungsbereich und Möglichkeiten
Was soll hinsichtlich politischer Beteiligung gleich verteilt werden?

tertium comparationis:
- Zählwerte
- Rechte
- Einflussmöglichkeiten
- Beteiligungsmöglichkeiten
- Repräsentationsmöglichkeiten
- faktischer Einfluss
- faktische Beteiligung
- faktische Repräsentation
- ...?

Wenn nur Werte und Rechte vergeben werden, durch welche wiederum Möglichkeiten eröffnet werden sollen (Chancen durch Mittel), muss dann nicht die politische Gleichheit auch zwangsläufig die faktischen Voraussetzungen berücksichtigen, welche die gegebenen Gleichheiten positiv oder negativ beeinflussen (können?)

--> Des einen Gleichheit ist (manchmal) des anderen Ungleichheit?
Beispiel: Gleiche Rechte erfüllen zwar die Mittelgleichheit für ein erwünschtes (politisch relevantes) Ziel (wie gleiche politische Beteiligung an demokratischen Entscheidungen zur Legitimierung der Politik), dabei kann aber die Wahrscheinlichkeit der Nutzung dieser Rechte durch andere Faktoren (verschiedene Talente, Kapazitäten etc.) ungleich verteilt sein und das erwünscht Ziel beeinträchtigen (und zu politisch relevanter Ungleichheit und Delegitimierung der Politik führen).

Relevanz der Verteilung für Politische Gleichheit der Beteiligung
- wird etwas gleich verteilt, unabhängig von individuellen Voraussetzungen (marginale Gleichheit) oder werden Forderungen gleichermaßen erfüllt, indem wahrscheinlich etwas ungleich verteilt wird (globale Gleichheit)?
- der liberal-demokratische Ansatz fokussiert auf die gleiche Verteilung und Geltung von z.B. Rechten und Normen, während dagegen marxistische Ansätze auf Ergebnisgleichheit fokussieren
- Beteiligungsstudien konstatieren oft eine Ergebnisungleichheit (z.B. faktisch ungleiche Wahlbeteiligung) und verknüpfen diese erklärend mit Voraussetzungsungleichheiten (z.B. individuelle, politisch relevante Hürden der Wahlteilnahme), aber:
- Kernmerkmal des Politischen ist, dass unmittelbare Gleichheit zwischen Verteilungsbereich und Forderungs-/Ergebnisbereich (aufgrund unendlicher politischer Imagination) nicht ohne Zwang hergestellt werden kann,
- sodass in der Demokratie jede partielle Gleichheit notwendig einen Mangel hat: als marginale Gleichheit kann sie die ungleichen Voraussetzungen und folglich Ergebnisse nicht ausgleichen (s. auch Chancen durch Mittel) und als globale Gleichheit muss sie sich einer ungleichen Verteilung bedienen, um genau diese ungleichen Voraussetzungen und Ergebnisse auszugleichen (s. auch Chancen durch Wahrscheinlichkeit)

Relevanz direkter Ergebnisse oder von Chancen für Politische Gleichheit der Beteiligung
- werden Ergebnisse direkt verglichen oder werden Chancen durch Mittel oder Chancen durch Wahrscheinlichkeit verglichen?
- klassische Mittelgleichheit verfolgt der liberal-demokratische Ansatz gleicher Rechte während sich Beteiligungsstudien dagegen häufig auf ungleiche Wahrscheinlichkeiten beziehen oder ein direktes ungleiches Ergebnis feststellen

- d.h. eine positive Bewertung in einer Ausprägung der Verteilungs- und Möglichkeitsdimension einer konkreten Gleichheit (marginal/Chancen durch Mittel oder global/Chancen durch Wahrscheinlichkeit) führt notwendig zu einer negativen Bewertung in der jeweils anderen Ausprägung

- Solange es keine unmittelbare Gleichheit zwischen Verteilungsbereich und Ergebnisbereich ohne Zwang geben kann (wie in der Demokratie notwendig), kann nur die relative Gleichheit(sverbesserung) jeweils innerhalb einer Ausprägung der Sachdimension bewertet werden.
- Für die komplexe politische Gleichheit ergibt sich eine positive oder negative Bewertung dann, wenn innerhalb der Sachdimension einer politisch relevanten Gleichheit (also über das Zusammenspiel bzw. die gegenseitige Aufhebung marginaler/globaler und Mittel-/Wahrscheinlichkeitsgleichheit) eine relative Verbesserung oder Verschlechterung feststellbar ist.

Begriffe: substantielle und prozedurale Gleichheit, Chancengleichheit?

Bewertung und Relativität
Wie werden die Gleichheiten hinsichtlich politischer Beteiligung bewertet und verglichen?

- intrapersoneller Erfolgswert
- zwischenmenschlicher/interpersoneller Erfolgswert
- absoluter Wert
- relative Wertung
- ...?

Relevanz der Bewertung für Politische Gleichheit der Beteiligung

- Wie bemisst sich dann z.B. der Wert eines Rechts bei ungleichem individuellen Interesse des Rechtsgebrauchs im Falle einer single issue Direktabstimmung?
Antwortmöglichkeiten:
- wird der Wert eines Guts intrapersonell verglichen, also danach, ob ich einen Vor- oder Nachteil von einem Gütertausch mit einem mir gleichgestellten Anderen hätte? (--> der Erfolgswert des Rechts ergibt sich unabhängig von der ungleichen Verteilung der subjektiven Nützlichkeit, sozialen Ergebnisse oder objektiven Bedürftigkeit an dem entsprechenden Recht, d.h. weder das interessierte noch das uninteressierte Individuum haben einen Vor- oder Nachteil, wenn sie ihr Recht mit dem anderen tauschen würden, und somit hat das Recht den gleichen Erfolgswert für jedes Subjekt)
- oder werden die interpersonellen Bewertungen miteinander verglichen, also ob ich durch meinen Teil die gleiche Befriedigung der subjektiven Nützlichkeit, des sozialen Ziels/Ergebnisses oder der objektiven Bedürftigkeit erziele wie der Andere durch seinen Teil? (--> der Erfolgswert des Rechts bezieht die ungleiche Verteilung individueller Merkmale ein, d.h. für das uninteressierte Individuum hat das gleiche Recht einen geringeren Wert als für das interessierte Individuum, und somit hat das Recht einen ungleichen Erfolgswert für die Subjekte)
- individualistisch und intrapersonell ist der liberal-demokratische Ansatz, während viele sozialdemokratische Ansätze auf die interpersonelle Gleichwertigkeit des Erfolgs der Güterverteilung abzielen

- Für die Messung der Wirksamkeit komplexer politischer Gleichheit muss bestimmt werden, welche Gradmesser selbst politisch relevant sind, also z.B. eine intra- oder interpersonelle Messung sowie bei letzterer die Messung subjektiver Nützlichkeit, sozialer Ergebnisse, objektiver Bedürftigkeit, oder weiterer politisch relevanter Maßstäbe?
- Werden mehrere Gradmesser als politisch relevant bestimmt müssen sie gegeneinander abgewogen werden, z.B. hinsichtlich ihrer politischen Relevanz (Dringlichkeit, Gravität). Dabei findet diese Bestimmung selbst im politischen Raum statt und unterliegt einem Selbstbezug der Gleichheit auf die Gleichheit, d.h. ein Gradmesser der Gleichheit ist dann legitim, wenn die Auseinandersetzung, Entscheidung und Anwendung darüber selbst dem Gleichheitsprinzip Rechnung trägt

Relevanz der Relativität für Politische Gleichheit der Beteiligung
- wird anhand absoluter Gleichheit argumentiert oder werden Gleichheiten relativ zueinander bestimmt?
- normative Gleichheitsansätze argumentieren meist für das Ideal absoluter/universeller Gleichheit (welche so in Konflikt mit dem demokratischen Ideal der Freiheit gerät) während sich Beteiligungsstudien dagegen häufig auf relative Gleichheitsaussagen zwischen Gruppen, Prozessformaten, Verteilungsbereichen etc. beziehen

- relative Gleichheit erlaubt die Messung über die Zeit und Bewertung von graduellen Verbesserungen/Verschlechterungen innerhalb einer Gleichheitsdimension in einem oder mehreren Aspekten, zwischen diesen Aspekten, zwischen den Gleichheitsdimensionen sowie als Zusammenspiel der Gleichheitsdimensionen
- die relative Bewertung einer partiellen politisch relevanten Gleichheit kann im Einzelnen oder im Zusammenspiel mit anderen partiellen politisch relevanten Gleichheiten ein positives/negatives Ergebnis für die Bewertung politischer Gleichheit insgesamt ergeben

- implizite/explizite Normativität?
Exkurs: Wirksamkeit
- internal efficacy = Selbstbestimmung
- external efficacy = Responsivität
- bemisst sich die Wirksamkeit der Gleichheit anhand gleicher politischer Autonomie oder anhand gleicher politischer Responsivität oder beidem?

--> politische Autonomie und politische Responsivität sind jeweils ein politisch bedeutsamer interpersoneller Gradmesser (Erfolgswert gemessen an einem bestimmten sozialen Ziel/Ergebnis) zur Bewertung politischer Gleichheit

Im Bereich politischer Beteiligung scheinen vor allem soziale Ziele und Ergebnisse zur Bewertung naheliegend, so z.B. politische Selbstbestimmung/Autonomie und/oder politische Responsivität. Diese sind kein tertium comparationis im engeren Sinne, da sie kein Gut sind, das verteilt wird, sondern sie dienen als interpersoneller Gradmesser der Wirksamkeit des Zusammenspiels partieller Gleichheiten zur Bewertung der komplexen politischen Gleichheit.

Intervention: politisiche Responsivität ist doch ein tertium comparationis, das im Output-Bereicht des Entscheidungsverfahrens zum Gleichheitsgegenstand wird, indem die gleiche (rechtliche, wahrscheinliche, faktische) Responsivität selbst messbar ist (d.h. bestimmte Werte annehmen kann, die vergleichbar und bewertbar sind), s. Ergebnisgleichheit
Das Politische/die Politik und politische Gleichheit
- das Politische ist keine immanente soziale Dimension der Gesellschaft, wie die Politik, sondern transzendiert als radikale Dimension der Gesellschaft den Raum politischer Auseinandersetzung, Entscheidung und Responsivität
- es transzendiert die Gesellschaft, negativ gewandt, als politischer Widerspruch in Form von Widerstand gegen Ungleichheit und Unterdrückung
- es transzendiert die Gesellschaft, positiv gewandt, als politischer Kampf und Lösungsversuch für Gleichheit und Freiheit

- politische Gleichheit rückbezieht das Ideal der Gleichheit auf den Raum politischer Auseinandersetzung, Entscheidung und Responsivität des politischen Systems, und diese Gleichheit im Politischen wird zu einem (unter anderen) Gradmesser der Legitimität von Politik

Die diskursive Konstruktion politischer Relevanz zur Bewertung der (politischen) Gleichheit(en) im demokratischen Entscheidungsprozess
Diskursivität des Gleichheitssubjekts: Wer ist/wird gleich?

Diskursivität des Gleichheitsbereichs: Was ist/wird gleich?

Diskursivität der Gleichheitsbewertung: Wie/Wonach wird die relative Gleichheit (des wer hinsichtlich was) bewertet?


Relevanz der Diskursivität für Politische Gleichheit der Beteiligung
- jede partielle Bewertung und Gesamtbetrachtung politisch relevanter Gleichheiten im demokratischen Beteiligungsprozess hängt selbst von als politisch relevant bestimmten Subjekt(grupp)en, Verteilungs- und Ergebnisbereichen sowie Gradmessern ab, deren Gültigkeit/Anwendung sich aus einem demokratischen Diskurs ergibt
- die relativ positive/negative Bewertung von (politisch relevanten) Aspekten in den als politisch relevant bestimmten Gleichheitsdimensionen ist zugleich die Grundlage zur Bestimmung der Legitimität einer (spezifischen) Politik(entscheidung), wobei sich diese Legitimitätsbestimmung allgemein auf das demokratische Gleichheitsprinzip und speziell auf dessen Form als Ideal politischer Gleichheit im Bereich demokratischer Beteiligung bezieht

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